Wenn ältere Patienten über eine verminderte Belastbarkeit klagen Transkatheterklappenersatz (TAVI)

Besonders ältere Menschen missverstehen Symptome wie Luftnot und die damit verminderte Belastbarkeit als Alterserscheinung. Doch häufig genug sind dies Anzeichen einer möglicherweise schwerwiegenden Aortenklappenstenose, warnt Prof. Dr. Julian Widder, Direktor der Medizinischen Klinik für Kardiologie und Angiologie am Städtischen Klinikum Karlsruhe. Deshalb, so rät der Kardiologe, sollten die behandelnden Hausärztinnen und -ärzte, bei dieser Symptombeschreibung „hellhörig“ werden und zum Stethoskop greifen.

Ist die Aortenklappenstenose ein Krankheitsbild, das von Hausärzt|inn|en und niedergelassenen Kardiolog|inn|en intensiver beachtet werden muss?

Prof. Dr. Julian Widder: Die Aortenklappenstenose ist primär ein Krankheitsbild des höheren Alters. Das birgt die Problematik, dass häufig die Symptome der Klappenerkrankung als Alterserscheinung verklärt werden. Die Patient|inn|en sind sich oft gar nicht bewusst, dass ihre Probleme einer Herzklappenerkrankung geschuldet sind.

Wie würden Sie die Symptomatik bei Patientinnen und Patienten mit Aortenklappenstenose umschreiben?

Widder: Die klassische Trias einer Aortenklappenstenose bilden die Symptome Luftnot, Angina Pectoris, also ein thorakaler Druckschmerz, und teilweise Schwindel oder auch eine Synkope. Letzteres ist allerdings eher selten.
Prof. Dr. Julian Widder im Porträt

Welche Auswirkungen zeigt die beschriebene Symptomatik bei den Patientinnen und Patienten im vorgerückten Alter?

Widder: Bei älteren Patient|inn|en äußert sich die Luftnot allgemein eher in einer eingeschränkten Belastbarkeit: wenn sie spazieren oder einkaufen gehen, oder auch beim Treppen steigen. Ich glaube auch, dass dieser Punkt von einem Teil der Patient|inn|en ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin gegenüber nicht klar genug geäußert und auf das „Älterwerden“ geschoben wird. Daher ist eine direkte Frage nach eingeschränkter Belastbarkeit bei alltäglichen Tätigkeiten sinnvoll. Gerade ältere Patient|inn|en, die über eingeschränkte Belastbarkeit klagen, können unter einer Aortenklappenstenose leiden. Die Klappenerkrankung ist dann einfach auskultatorisch mit dem Stethoskop zu diagnostizieren.

Hausärzte sollten also bei Luftnot besonders bei Ihren älteren Patientinnen und Patienten im Wortsinne hellhörig werden? 

Widder: Ja, Atemlosigkeit bei geringerer Belastbarkeit ist sozusagen das Leitsymptom bei einer Aortenklappenstenose.

Wie ist eine stille Aortenklappenstenose, also ohne symptomatische Anzeichen, einzuschätzen?

Widder: Letztlich ist es noch unklar, welche prognostische Bedeutung eine stille Aortenklappenstenose hat. Die klassischen Befunde stammen noch von Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre. Vorherrschend ist im Moment die Ansicht, dass eine Aortenklappenstenose erst dann relevant ist, wenn die Patient|inn|en symptomatisch werden. Diese Einschätzung befindet sich im Wandel. Heutzutage – vor dem Hintergrund der inzwischen so guten Therapieoptionen – machen wir uns Gedanken, ob asymptomatische Patient|inn|en, die von den echokardiografischen Kriterien und der gemessenen Öffnungsfläche der Aortenklappe eine höhergradige oder höchstgradige Stenose aufweisen, gegebenenfalls von einer frühen Intervention profitieren würden.

Verläuft eine Aortenklappenstenose immer progredient?

Widder: Die Progredienz der Aortenklappenstenose ist individuell sehr unterschiedlich. Es gibt Patient|inn|en, bei denen sie relativ langsam fortschreitend ist. Die Patient|inn|en sind lange stabil und kommen trotz einer mittelschweren oder formal auch schweren Aortenklappenstenose gut zurecht. Bei anderen Patient|inn|en schreitet die Erkrankung rapide voran. Es kommt nicht so selten vor, dass Patient|inn|en mit einer Aortenklappensklerose bei einer deutlich ausreichenden Öffnungsfläche der Aortenklappe im Verlauf eines Jahres eine rasche Progredienz zeigen. Sie stellen sich dann mit einer hochgradigen Stenose in unserer Klinik vor. Gerade solche Patient|inn|en, die eine rasche Progredienz haben, würden wir eventuell, auch wenn sie noch nicht symptomatisch sind, frühzeitig therapieren.

Die therapeutischen Möglichkeiten bei inoperablen Patientinnen und Patienten mit Aortenklappenstenose beschränkten sich über einen langen Zeitraum auf die symptomatische medikamentöse Therapie. Spielt die medikamentöse Therapie seit der Einführung der interventionellen Therapie überhaupt noch eine Rolle?

Widder: Die medikamentöse Therapie, muss man sagen, hatte eigentlich nie einen besonderen Stellenwert bei der Aortenklappenstenose. Leider wurden bisher keine Medikamente entwickelt, die die Progression der Artenklappenstenose aufhalten könnten. Sie haben lediglich bei der symptomatischen Behandlung Bedeutung. Aber wir verlängern damit nicht das Leben unserer Patient|inn|en. Bis vor zirka 10 bis 15 Jahren war die einzige Therapieoption bei dieser Herzklappenerkrankung der operative Aortenklappenersatz. Seitdem steht uns der interventionelle Ansatz zur Verfügung. Mit dem Transkatheter-Aortenklappenersatz haben wir ein sehr schonendes Verfahren, mit dem Patient|inn|en mit einer höhergradigen Stenose sehr gut therapiert werden können.

Wenn die betreuende Hausärztin bzw. der Hausarzt die krankhafte Veränderung der Aortenklappen diagnostiziert hat, wie geht es danach weiter?

Widder: Der Verdacht einer Aortenklappenstenose wird durch hausärztlich-tätige Internist|inn|en oder Allgemeinmediziner|innen aufgrund der klassischen Symptome und dem Auskultationsbefund geäußert. In der Regel erfolgt dann eine Überweisung in eine kardiologische Praxis. Dort wird mittels einer Echokardiografie die Verdachtsdiagnose bestätigt und weitere Untersuchungen zur Abklärung des therapeutischen Vorgehens vorgenommen. In der Klinik schließlich erfolgt zur Vorbereitung des Eingriffs – interventionell oder operativ – eine Herzkatheteruntersuchung und zusätzlich, gerade beim interventionellen Aortenklappenersatz (TAVI), eine Computertomografie. Diese ist für die Planung der Intervention notwendig. Die letztendliche Entscheidung über die angemessene Therapie fällt im Herzteam. Das besteht aus je einem Kollegen oder einer Kollegin aus Herzchirurgie, Kardiologie und Anästhesiologie. Begleitend sollten auch die betreuenden Hausärzte bzw. Hausärztinnen hinzugezogen werden. Sie können die jeweiligen Patient|inn|en und ihre Gesamtsituation -  zum Beispiel hinsichtlich von Begleiterkrankungen -  besser einschätzen. Dabei muss man sagen, dass heutzutage die Transkatheterklappentechniken so gut geworden sind, auch in Studien für Patient|inn|en mit niedrigem operativem Risiko, dass immer mehr Betroffene mittels TAVI versorgt werden können.