Therapie des Typ-1-Diabetes mit Insulinpumpensystemen & die Vorteile einer individualisierten kontinuierlichen Therapie

Dr. med. Torben Biester ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Diabetologie, Notfallmedizin, im Kinder- und Jugendkrankenhaus "Auf der Bult" in Hannover. Seine Ausbildung absolvierte er an der Medizinischen Hochschule Hannover, am KRH Klinikum Neustadt und im Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult. Im Interview beantwortet er Fragen zur Therapie des Typ-1-Diabetes mit Insulinpumpensystemen und den Vorteilen einer individualisierten kontinuierlichen Therapie.

MiniMed 770G System

Insulintherapie bei Typ-1-Diabetes: Was sind die Herausforderungen im Alltag?

Dr. med. Torben Biester: Das Leben! Es folgt einfach keinem festen Schema. Menschen mit Diabetes, ob klein oder groß, müssen jeden Tag viele Entscheidungen zur Insulintherapie treffen. Das reicht von der Beurteilung jedes einzelnen Messwertes bis zum Bedenken jeder Mahlzeit davor und danach, inklusive Kohlenhydrate und Zusammensetzung des Essens. Insulin muss prospektiv abgegeben werden, in der richtigen Menge vor dem Essen. Je kleiner der Mensch, umso schwieriger ist dies. Auch für Jugendliche ist das eine Herausforderung: Die Pubertät ist schon schlimm genug – und dann auch noch Diabetes, den alle anderen um einen herum nicht haben. Das ist schwer.

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Welche Bedeutung haben der HbA1c-Wert und die Zeit im Zielbereich für das Diabetesmanagement?

Biester: Der HbA1c ist ein Mittelwert. Er sagt nichts über die glykämische Variabilität oder die Lebensqualität aus. Die Zeit im Zielbereich zwischen 70 bis 180mg/dl ist ein Parameter, der direkt aus den echten Daten abgeleitet wird. Diese Größe können wir durch die kontinuier¬liche Glukosemessung durch einen Sensor darstellen. Die Zeit im Zielbereich kann die Variabilität von Zuckerwerten abbilden und ist damit ein besser geeigneter Parameter für die prospektive Beratung.

Was sind die Folgen, wenn die Glukose nicht adäquat eingestellt ist?

Biester: Zum einen gibt es Akutprobleme, die aus der Insulindosierung herrühren. Das sind Unterzuckerungen: Die Betroffenen fühlen sich schlecht oder verlieren das Bewusstsein. Zu hohe Glukosewerte sind kurzfristig kein Problem, vielmehr der Insulinmangel. Der Körper rutscht in einen Insulinmangel und der Körper übersäuert über kurz oder lang. Die hohe Glukose ist nur ein Ausdruck des eigentlichen Problems, dem Insulinmangel. Auf lange Sicht kann es zu Folgeerkrankungen kommen, die natürlich zu vermeiden sind. Deshalb betreiben wir diese ganzen Anstrengungen mit der Insulintherapie.

Wie ist ein optimaler Glukoseverlauf tagsüber und nachts? Wo können Probleme auftreten?

Biester: Ein optimaler Verlauf liegt innerhalb des Zielbereichs von 70 bis 180 mg/dl, am besten im unteren Bereich, ohne extreme Auslenkungen nach oben oder unten - und wenn der/die Betroffene mit diesen Werten zufriedengestellt ist. Die Probleme und Herausforderungen sind sehr unterschiedlich – das variiert von Mensch zu Mensch und von Tag zu Tag.

Wann raten Sie Ihren Patient*innen zu einer Insulinpumpe?

Biester: In Deutschland hat sich etabliert, dass alle Vorschulkinder primär eine Insulinpumpe erhalten, vor allem aufgrund der feineren Dosierbarkeit des Insulins. In diesem Alter werden Kinder oft fremdbetreut und für betreuende Personen, ist das Hemmnis geringer, eine Pumpe zu bedienen, als Insulin zu spritzen. Ab dem Schulalter fangen die Kinder zuerst mit einem Pen an. Auf eine Pumpe kann wechseln, wer das möchte und wenn es ins Leben passt. Die Pumpe macht das Leben wesentlich einfacher, sie bietet Rechenhilfen und es muss weniger gespritzt werden. Wir sind überzeugt, dass Pumpen der einfachere und feinere Weg sind. Das ist aber individuell unterschiedlich. Auch mit einem Pen erreicht man eine gute Glukoseeinstellung.

Was sind bei Ihren Patient*innen die Herausforderungen bei der Pumpentherapie und wie kann man diesen begegnen? 

Biester: Die Herausforderung ist, dass man zusätzlich zum Diabetesmanagement ein technisches Gerät erlernen muss, was nicht immer so einfach ist. Das können die Betroffenen nicht schnell per Online-Kurs lernen. Zum Umgang mit einer Insulinpumpe braucht es eine gute Hands-on-Anleitung, am besten eine ausführliche Schulung. Kinder, die bei uns eine Pumpe neu bekommen, werden eine Woche stationär aufgenommen. Wir erklären und zeigen ihnen alles detailliert. Dazu gehören viele praktischen Übungen zu jeder Mahlzeit und über den Tag – natürlich zusammen mit den Eltern. Dann ist das alles gut verinnerlicht und kann im Alltag alleine umgesetzt werden. Der Erfolg von Schulungen zeigt sich auch im Vergleich der Therapiedaten aus Deutschland und den USA: Deutschland und Europa schneiden in Registerdaten besser ab, was den Erfolg der Therapie angeht. Der Hauptgrund liegt aus meiner Sicht in der intensiveren Schulung. 

Welchen Stellenwert hat das neue MiniMed™ 770G System in der kontinuierlichen Therapie des Typ-1-Diabetes?

Biester: Die kontinuierliche Glukosemessung mit einem Sensor ist der Schlüssel zum Erfolg für alle Patienten. Man erhält so viel mehr Informationen als durch die konventionelle Blutzucker-messung und es ist komfortabler. Betrachtet man die Kombination mit der Insulinpumpe, dann ist die Automatisierung DER Fortschritt der letzten 10 Jahre. Das hat den Durchbruch in der Diabetestherapie gebracht. Insbesondere die Nächte sind jetzt kein Problem mehr.

Inwiefern ermöglicht die MiniMed™ 770G eine optimierte individualisierte Therapie?

Biester: Der Vorteil des MiniMedTM Systems ist, dass es individualisiert ist und sich ständig anpasst. Jede Nacht läuft anders und das kann ein automatisiertes System ausgleichen. Und auch am Tag bietet sie wertvolle Unterstützung, wenn man ein paar Grundregeln einhält, wie die Bolusgabe vor dem Essen. Die Anzeige der Pumpe über Bluetooth® mit dem Smartphone und einer App ist gerade für Eltern von Kleinkindern interessant. 

Welche Wünsche haben Sie für die Verbesserung der Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit Typ 1 Diabetes?

Biester: Wenn die Jugendlichen 18 werden dürfen wir in der Kinderklinik sie nicht mehr behandeln. Viele Internisten und Diabetologen sind aber eher auf den Typ 2 Diabetes fokussiert. Daher wären spezialisierte Typ 1 Diabetes-Zentren wichtig, die die Betroffenen vom Kindesalter bis zum Alter durchgehend betreuen und den speziellen Bedürfnissen der an Typ 1 Diabetes erkrankten Menschen in jedem Alter gerecht werden, und sich sehr gut mit der stetig wechselnden Technik auskennen.

Was sind für Sie die größten Erfolgserlebnisse in der Arbeit mit Patient*innen mit Typ-1-Diabetes?

Biester: Wenn der Patient / die Patientin sich kurz bevor er/sie 18 wird mit festen Zukunftsplänen und einem Lächeln verabschiedet.