Ich habe mein Lachen wiedergefunden

Simone erzählt ihre Geschichte.

Simone Clare, 56, ist ein fröhlicher Mensch. Im Jahr 2004 sorgte ein Lachanfall jedoch für ein einschneidendes Erlebnis in Simones Leben: Im Büro machte die Kollegin einen Scherz. Simone musste lauthals lachen, und plötzlich war ihre Hose nass. Die Inkontinenzeinlage, die sie trug, hatte den Urin nicht halten können. „Ich konnte den Schwall aus eigener Kraft nicht stoppen. Als es lief, lief es“, erinnert sich Simone. Dazu kam die Scham, denn die Kollegen hatten das Malheur mitbekommen und wussten nicht, wie sie reagieren sollten. Simone musste nach Hause fahren und sich umziehen. Da war klar: „So etwas wollte ich nicht nochmal erleben.“

Simone sitzt an einem Tisch im Restaurant.

Simones Krankheitsgeschichte begann mit einer Inkontinenz, d.h. sie konnte ihren Harndrang nicht kontrollieren. Die Erkrankung trat nach ihren vier Schwangerschaften auf. Mit einer Blasenschwäche, die man mit Inkontinenzeinlagen in den Griff bekommen kann, hat das nicht viel zu tun. Simones Erkrankung verschlimmerte sich von Jahr zu Jahr, bis zu dem peinlichen Erlebnis im Büro. Simone erlebte viele erfolglose Therapieversuche, darunter auch mehrere Operationen. Die Folge: Aus der Inkontinenz entwickelte sich das Gegenteil. Simone litt plötzlich an einem Harnverhalt und konnte über Jahre eigenständig kein Wasser mehr lassen – bis ihr der InterStim Blasenschrittmacher vorgeschlagen und 2018 implantiert wurde. Heute sagt sie: „Hätte ich früher davon gewusst, hätte ich es früher gemacht.“ Simone kann jetzt wieder ein normales und unbeschwertes Leben führen, Und sie kann wieder lachen.

Die Inkontinenz führte zu Scham, Vermeidung und Rückzug

1995 bekam Simone Clare ihre vierte Tochter. Eine typische Folge nach Geburten ist die so genannte Belastungsinkontinenz, die durch eine Schwäche des Bindegewebes oder der Beckenbodenmuskulatur oder durch ein Absinken der Blase entstehen kann. So war es auch bei Simone. Sie versuchte es zunächst mit Beckenbodengymnastik und dem Erfahrungsaustausch in einer Inkontinenz-Selbsthilfegruppe. Simone tat am Ende das, was viele Betroffene tun: Sie versuchte irgendwie selbst klar zu kommen, indem sie Binden und Inkontinenzeinlagen trug und begann, Aktivitäten zu vermeiden, bei denen das Risiko eines peinlichen „Unfalls“ zu groß war. An Joggen oder Tanzen war nicht mehr zu denken.

Simones Erkrankung verschlimmerte sich von Jahr zu Jahr. Bei Tätigkeiten im Haushalt, beim Anheben der Einkaufstaschen, beim Laufen, Niesen oder Lachen floss der Urin schließlich unkontrollierbar. „Es ist ein Tabuthema“, sagt Simone. „Ich hatte Angst, dass man das riecht. Urin riecht ja“, schildert sie ihr damalige körperliche und psychische Belastung. Die Konsequenz: Simone zog sich zurück, ging nicht mehr raus. Sie hörte auf, Flüssigkeit zu sich zu nehmen und kam nur noch auf einen halber Liter Wasser am Tag. Wenn sie unterwegs war, war der Gedanke an die nächste Toilette bestimmend. Ihre Partnerschaft und viele Freundschaften gingen in die Brüche.

Viele Therapieversuche: Das Problem blieb.

Nach vielen Jahren der Inkontinenz war klar: Konservative Therapien halfen nicht weiter. Simones Frauenarzt riet 2004 zur Implantation eines Kunststoffbands, um die Blase zu stabilisieren und zu heben. Diese Therapie wird häufig bei Belastungsinkontinenz eingesetzt und zeigt in der Regel gute Erfolge. Der erhoffte Erfolg blieb bei Simone aus. „Für mich ging die Welt unter,“ schildert sie ihre Erfahrung. „Vor der Operation konnte ich das Wasser nicht halten, nun war das Gegenteil der Fall: Ich konnte kein Wasser mehr lassen. Das war schlimm.“ Die Inkontinenz hatte sich in das Gegenteil verkehrt: Nun litt sie an einem chronischen Harnverhalt, d.h. die Betroffenen können den Urin nicht ablassen, obwohl die Blase gefüllt ist.

Mehrfach in der Woche ging Simone zum Bougieren, d.h. zur mechanischen Aufdehnung der Harnröhre. Das war schmerzhaft und sorgte für eine dauerhafte Reizung der Harnröhre. Zudem kam es zur Absenkung der Gebärmutter. Man riet ihr deshalb 2010 zur Entfernung der Gebärmutter. In der Operation wurde Simone ein neues Band eingesetzt, das der Körper jedoch abstieß. Simone hatte nun so starke Schmerzen, dass sie opioidhaltige Schmerzmittel einnahm. Im Jahr 2012 wurde das Band wieder entfernt – das Problem blieb. Ihre Inkontinenz war nun so stark, dass sie beim Gehen das Wasser nicht mehr halten konnte.

Nach der OP konnte ich zwar wieder ein wenig Wasser lassen, aber nur unter Verrenkungen. Am besten ging es im Liegen in der Badewanne, indem ich das Gesäß anhob, um unter Schmerzen ein paar Tropfen herausdrücken.

Simone

Und wieder wurde ihr eine Operation empfohlen: Eine Vorder- und Hinterwandplastik sollte die Blasenanatomie korrigieren. „Nach der OP konnte ich zwar wieder ein wenig Wasser lassen, aber nur unter Verrenkungen. Am besten ging es im Liegen in der Badewanne, indem ich das Gesäß anhob, um unter Schmerzen ein paar Tropfen herausdrücken“, erinnert sich Simone.

Simone musste nun lernen, wie sie die Blase mit Hilfe eines Katheters mehrfach täglich selbst leeren konnte. Dabei wird ein dünnes steriles Kunststoffröhrchen in die Harnröhre eingeführt, um Urin aus der Blase abzuleiten. „Es war eine Überwindung. Es tat weh, und die Harnröhre wurde permanent gereizt. Unterwegs war es eine Herausforderung. Man braucht eine keimfreie Toilette. Ich hatte immer Desinfektionsspray und Tupfer zum Abwischen dabei“, erklärt Simone.

Simone hatte die Hoffnung längst aufgegeben, als ihr Arzt 2016 den Einsatz eines InterStim Blasenschrittmachers empfahl. Simone war skeptisch: „Ich hatte schon so viel ausprobiert – ohne Erfolg. Ich war sehr negativ eingestellt. Aber meine Familie redete mir gut zu.“ 2018 traf Simone die Entscheidung, es mit der sakralen Neurostimulation zu versuchen.

Neues Lebensgefühl dank der sakralen Neuromodulation

Nach den vielen erfolglosen Therapieversuchen brauchte Simone zwei Jahre, um ihre Skepsis gegenüber einer erneuten Operation zu überwinden. Ein Argument, das sie überzeugte, war die Testphase, die der Implantation des InterStim Blasenschrittmachers vorangeht: Mit einem externen Impulsgeber wird geprüft, ob die Therapie bei der Patientin wirksam ist. Wenn sich die Symptome deutlich verbessern, kann eine dauerhafte InterStim-Implantation geplant werden. 

Auf der Toilette sollte ich mich entspannen. Und plötzlich konnte ich Wasser lassen. Es ging von allein. Das war so schön – ich habe auf der Toilette geweint.

Simone

Die Testphase hat Simone noch gut in Erinnerung. Nach dem Eingriff sagte die Schwester: „Frau Clare, wenn sie Wasser lassen müssen, sagen sie Bescheid.“ Eine absurde Idee für Simone, die seit Jahren kein Wasser lassen konnte. Kurz darauf fühlte sich Simones Blase voll an. Aber anders als sonst verspürte sie keine Schmerzen, sondern nur einen Druck. Simone fasste sich ein Herz und sagte zur Schwester, sie würde es gerne mal versuchen: „Auf der Toilette sollte ich mich entspannen. Und plötzlich konnte ich Wasser lassen. Es ging von allein. Das war so schön – ich habe auf der Toilette geweint“, erinnert sich Simone.

Heute trägt sie zwei InterStim Blasenschrittmacher, die beidseitig über Elektroden sanfte elektrische Impulse in der Nähe der Sakralnerven abgeben, um die neuronale Aktivität zwischen Blase und Gehirn zu normalisieren. Für Simone heißt das: Ihre Blasenentleerungsstörung ist behoben, sie braucht keine Schmerzmittel mehr und hat ein neues Lebensgefühl. „Ich kann wieder springen, tanzen, nießen, lachen. Ein Leben ohne die beiden kleinen Geräte kann ich mir nicht mehr vorstellen. Auf die Toilette gehen: Das ist für andere etwas ganz Normales. Erst, wenn man das nicht mehr kann, weiß man, wie wichtig das ist.“