ICD- und CRT-Patienten können aus der Ferne medizinisch überwacht werden

Das Studienfach Informatik war für Dr. Martens eine echte Option. Als „Zivi“ vernetzte er die Rettungsdienste in seiner ostfriesischen Heimat miteinander, bis die Wahl doch auf das Medizinstudium fiel. Der Technik ist er allerdings treu geblieben und beschäftigt sich heute als Elektrophysiologe mit entgleisten elektrischen Herzimpulsen. Der Leiter der Device-Therapie am Klinikum rechts der Isar in München hat er mit der Behandlung und Nachsorge von Patienten, die an schweren Herzrhythmusstörungen oder einer fortgeschrittenen Herzschwäche leiden, zu tun, die u.a. mit implantierbaren Defibrillatoren (ICD) oder einer kardialen Resynchronisationstherapie (CRT) versorgt werden.

Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, MRI. Mitarbeiterportraits:Eimo Martens

Dr. Eimo Martens, Leiter der kardiologischen Device-Therapie am Klinikum rechts der Isar in München. Bildquelle: privat.

250.000 herzkranke Patienten mit solchen ICDs oder CRTs gibt es in Deutschland. Um die Funktion des Implantats sicherzustellen, sind bis zu vier Mal im Jahr Nachsorgetermine vorgesehen. Die Statistik zeigt: Rund 80% dieser Termine erfordern keine ärztliche Behandlung1, sind aber sowohl für die Patienten als auch für das Klinikpersonal mit Aufwand verbunden. Besonders während der Corona-Pandemie, in der es gilt, Risikopatienten nur dann in die Klinik einzubestellen, wenn es die Erkrankung wirklich erforderlich macht. Was spricht eigentlich dagegen, diese Nachsorgetermine digital abzuhalten?

Nichts, denn die technische Voraussetzung für diese „telemedizinische Funktionsanalyse“ ist bei allen modernen Implantaten gegeben. Auch das so genannte „Telemonitoring“ ist möglich, d.h. die Fernüberwachung von Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz. So können z.B. mit dem weltweit meistgenutzten Fernabfragesystem CareLink™ Geräte- und Diagnosedaten aus den Herzimplantaten ausgelesen, übertragen und dem behandelnden Arzt in übersichtlicher Form zur Verfügung gestellt werden. Der Patient erhält dafür eine Infrastruktur, um die Daten verschlüsselt an einen sicheren Server mit Standort in Europa zu übertragen, und wird von einem speziellen Schulungsteam auf die Anwendung geschult. Das kann entweder ein MyCareLink™ Patientenmonitor für zu Hause sein oder der Zugang zur MyCareLink Heart App, mit der die Datenübertragung vom Smartphone aus erfolgen kann. Eine Datenübertragung findet entweder planmäßig statt, wenn ein Nachsorgetermin ansteht, oder wenn ein klinisches bzw. technisches Ereignis beim Patienten stattfindet, über das sich der Arzt informieren lassen will. Der behandelnde Arzt kann über eine passwortgeschützte Webseite auf die Daten zugreifen und sie in die Video- bzw. Telefonsprechstunde mit den Patienten einbeziehen bzw. bei einem Alarm notwendige medizinische Schritte veranlassen.

myCareLink-App Datenübertragung

Einige Krankenkassen tun sich mit der Vergütung schwer

  

Krankenkassen tun sich noch schwer mit der Vergütung telemedizinischer Lösungen. Für die telemedizinische Funktionsanalyse erhalten Vertragsärzte zwar ein Honorar, die Kostenübernahme der telemedizinischen Infrastruktur – der MyCareLink Patientenmonitor, die MyCareLink App oder der datengeschützte Zugriff des Arztes auf die CareLink Webplattform – ist nicht regelhaft gesichert. Viele Krankenkassen übernehmen diese Infrastrukturkosten, einige tun es nicht. Aktuell werden weniger als 20% der ICD / CRT Implantate in Deutschland telemedizinisch nachgesorgt.3 Das kardiale Telemonitoring von Herzinsuffizienz-Patienten ist derzeit noch keine ambulante Regelleistung der Kassen und kann von Ärzten nicht sachgerecht abgerechnet werden. „Wir als Universitätsklinik dürfen diese Leistungen nicht abrechnen. De facto kosten uns die Patienten in der telemedizinischen Versorgung Geld, weil wir keine Vergütung dafür bekommen“, sagt Dr. Martens. 

Mit der MyCareLink Heart App können Geräte- und Diagnosedaten aus den Herzimplantaten ausgelesen und an den behandelnden Arzt übertragen werden.

Elderly man on his cell phone sitting on a couch inside house brandcentralphotos

Treten in der Fernüberwachung Alarme auf, wird der Patient kontaktiert.

Trotz dieser Hürden werden in der Münchner Device-Therapie bei Dr. Martens die Patienten mit Herzinsuffizienz schon seit Jahren fernüberwacht: „Wir versuchen alle Herzinsuffizienzpatienten mit einem ICD oder CRT aus der Ferne zu monitoren. In unserem Telemedizinzentrum werden die Patientendaten täglich kontrolliert. Wenn die Werte, die wir z.B. über das CareLink-Portal einsehen, gut sind und sich der Patient in der Televisite gut fühlt – dafür haben wir Standards, die wir abfragen - dann sehen wir keine Notwendigkeit, den Patienten persönlich einzubestellen“, erklärt Dr. Martens den Ablauf. Die persönliche Visite vor Ort findet statt, wenn Probleme auftreten. „Bei Alarmen gehen wir nach fest vorgegebenen Regeln vor und kontaktieren den Patienten oder den niedergelassenen Kollegen. Das ist eine enorme Entlastung der meisten hausärztlichen und kardiologischen Praxen, die bei Alarm innerhalb von 24 Stunden und am Wochenende innerhalb von 48 Stunden reagieren müssten“, sagt Dr. Martens.

Verbesserung der Patientenversorgung

  

Warum bietet das Klinikum diese Leistungen an, obwohl die Vergütung nicht steht? „Kurzfristig hat das für uns keinen Nutzen, aber langfristig ist das die Zukunft. Wir glauben, dass Telemedizin die Versorgung vieler Patienten deutlich verbessern kann, weil wir häufiger Daten erheben und die Patienten deutlich besser überwacht sind“, meint Dr. Martens. Bei Patienten mit fortgeschrittener Herzschwäche könne es die klinischen Ergebnisse verbessern, weil bei einem Alarm schneller reagiert und frühzeitiger interveniert werden könne. Gegenüber einer Betreuung ohne Telemonitoring treten bei einer Fernüberwachung mit definierten Mindestanforderungen weniger Todesfälle auf, die kardiovaskuläre Ursachen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall haben.4 „Studien zeigen außerdem, dass die Lebensqualität der überwachten Patienten deutlich ansteigt, weil sie sich sicherer fühlen.“ Gerade in der Pandemie sei das Angebot gut angenommen und als zusätzliche Sicherheit für Hochrisikopatienten in der Pandemie verstanden worden. „Wir wollten unsere Patienten vor der Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Krankenhausaufenthalt schützen. Das ist uns mit den Televisiten bzw. dem Telemonitoring sehr gut gelungen“, ist sich der Kardiologe sicher. Aber auch ohne Pandemie sei es für stabile Patienten angenehmer, nicht anreisen zu müssen. Vor allem, wenn sie abseits der Ballungsräume wohnten und lange Anfahrtswege hätten. 

Patient looking at phone & Doctor looking at computer image

Bei fernüberwachten Patienten mit fortgeschrittener Herzschwäche kann bei Alarm frühzeitiger reagiert werden.

Entlastung für das Krankenhauspersonal

Auch für die Krankenhäuser und Praxen kann Telemedizin bei der Bewältigung steigender Patientenzahlen und bei gleichzeitigem Fachkräftemangel eine Entlastung sein. „Wir können die Arbeitsbelastung besser verteilen. In unserem Telemedizinzentrum kümmert sich ein Team aus drei Ärzten und sechs Hilfskräften in Vollzeit um die Patienten. Würden wir alle Patienten vor Ort einbestellen, würden wir das mit dieser Personalausstattung niemals schaffen“, betont Dr. Martens. Für die Pflegekräfte vereinfachten sich durch die Telemedizin administrative Aufgaben, und die körperliche Belastung reduziere sich, da weniger Patienten vor Ort gestützt oder umgelagert werden müssten, führt Dr. Martens aus. Gleichzeitig sei eine Flexibilisierung der Arbeitszeit möglich: „Digitale Sprechstundentermine können auch außerhalb von Kernzeiten stattfinden oder vom Home Office aus absolviert werden.“ Für Dr. Martens steht fest, dass die Telemedizin ein wichtiger Pfeiler der modernen Versorgung sein muss und bessere Ergebnisse für alle – Patienten, Ärzte und Pflegekräfte – bringen kann. „Wir verbessern mit der Telemedizin nicht nur die Versorgung der Patienten, sondern auch die Gesundheitskosten für die Gesellschaft“, ist er sich sicher.

  

Für Krankenhäuser und Praxen bedeuten Telemedizin eine personelle Entlastung und mehr Flexibilität in der Patientenbetreuung.

 

Ein wichtiger Baustein dafür ist die Vernetzung mit Hausärzten, niedergelassenen Fachärzten und anderen Kliniken. „Wir funktionieren ja nicht allein, sondern zusammen mit den Kollegen. Deshalb arbeiten wir an einem telemedizinischen Netzwerk und stellen den Kollegen die Daten ihrer Patienten standardisiert zur Verfügung, so dass sie diese z.B. über die Elektronische Patientenakte in die eigene Praxissoftware einlesen können“, erklärt Dr. Martens. Das Netzwerk schafft feste Zuweiserstrukturen, sorgt für eine nahtlose Versorgung von Patienten und vermeidet unnötige Doppeluntersuchungen.

Ein Datenschutz für die Gesundheitsversorgung

Mit Hilfe der Fernüberwachung können häufiger Patientendaten erhoben werden, die wertvolle Informationen für die Primärprävention von Krankheiten und die Gesundheitsforschung mit sich bringen und zu neuen technologischen Lösungen führen können. So nutzen Dr. Martens und sein Team z.B. einen mathematischen Algorithmus, der auf der Basis der umfangreichen Daten des CareLink-Netzwerks entwickelt wurde. Die TRIAGEHF™-Technologie identifiziert Patienten innerhalb des CareLink-Netzwerks, die ein erhöhtes Risiko für eine drohende dekompensierte Herzinsuffizienz haben. Der Körper kann dann die Pumpschwäche des Körpers nicht mehr ausgleichen und steuert auf eine akute Krise zu, die sich über mehrere Tage ankündigen kann. Durch die Fernüberwachung kann diese Entwicklung für den Arzt sichtbar gemacht werden. Der TRIAGEHF-Algorithmus überprüft eine Reihe von spezifischen Parametern des Patienten und berechnet automatisiert das aktuelle Risiko des Patienten. Ist das Risiko hoch, ist mit einem durch die Herzschwäche bedingten Krankenhausaufenthalt in den nächsten 30 Tagen zu rechnen. Studien zeigen, dass eine Hospitalisierung wegen Herzschwäche die Überlebenswahrscheinlichkeiten in allen Altersstufen senkt. Dank der frühzeitigen Erkennung kann der Arzt früher Therapieschritte einleiten, um die Dekompensation zu vermeiden. „Das ist ein erster Schritt zur künstlichen Intelligenz“, meint Dr. Martens. 

Die Klinik forscht selbst auf Basis der eigenen telemedizinischen und Präsenzdaten der Patienten an neuen Risikoprädiktoren, die Krankheitszustände vorhersagen können. „Auf Basis von 40.000 Elektrokardiogrammen aus zwei Jahren haben wir einen Algorithmus entwickelt, der mit Hilfe von künstlicher Intelligenz anhand eines Ruhe-EKGs vorhersagen kann, ob der Patient an paroxysmalem Vorhofflimmern leidet, also an einer anfallartig auftretenden Herzrhythmusstörung, bei der sich die Vorhöfe rasch und unkontrolliert bewegen. Für die Ursachenforschung nach einem Schlaganfall unbekannter Ursache kann das sehr hilfreich sein“, erklärt Dr. Martens. 

Für den Kardiologen steht fest: Die Telemedizin hat ihre Berechtigung für eine qualitativ hochwertige und kosteneffiziente Gesundheitsversorgung und sie eröffnet mit Hilfe der künstlichen Intelligenz neue Möglichkeiten für die Gesundheitsforschung. „Wir müssen dranbleiben und den Krankenkassen zeigen, dass Telemedizin Sinn macht und dass sie etwas verändern kann.“

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