Das Gehirn ist ein elektrochemisches Wunderwerk

Image of a brain scan.

Das menschliche Gehirn ist ein elektrochemisches Wunderwerk.

Das menschliche Gehirn ist ein wahres Wunderwerk. 
Wenn wir denken, fühlen oder uns bewegen, sind komplexe neuronale Netzwerke aktiv. Alles, was wir über unsere Sinne an Informationen aufnehmen, wird von den rund 100 Milliarden Nervenzellen, die über ca. 100 Billionen  Synapsen miteinander verknüpft sind, in Windeseile weitergeleitet und verarbeitet. Das Gehirn arbeitet elektro-chemisch: Nervenimpulse werden in Nerven elektrisch weitergeleitet. Für den  Informationsaustausch von Nervenzelle zu Nervenzelle nutzt das Gehirn chemische Botenstoffe.

Für Erkrankungen wie Morbus Parkinson spielt dieses Wissen eine große Rolle. Nach der Alzheimer-Krankheit ist Morbus Parkinson die zweithäufigste Erkrankung des Nervensystems. Es ist eine nicht-heilbare, langsam fortschreitende Erkrankung, an der in Deutschland etwa 400.000 Menschen leiden. 

Parkinson-Krankheit: gestörte Signalübertragung im Gehirn

Bei Parkinson-Patienten stirbt nach und nach die Gehirnsubstanz ab, die für die Herstellung des Botenstoffs Dopamin zuständig ist. „Der Regelkreis im Gehirn, der für die Steuerung unserer Bewegung zuständig ist, benötigt jedoch ein gleichmäßiges Einwirken von Dopamin“, erklärt Prof. Dr. Jens Volkmann, Klinikdirektor der Neurologie des Universitätsklinikums Würzburg und Erster Vorsitzender der Parkinson-Stiftung. Durch den fortschreitenden Dopaminmangel ist die neuronale Signalübertragung zunehmend gestört. Das führt zu den typischen Krankheitssymptomen wie Zittern, Bewegungsverlangsamung und Muskelsteifigkeit mit Einschränkungen für die Lebensqualität der Betroffenen.

Die Behandlung von Morbus Parkinson konzentriert sich auf die Symptomlinderung. Am Anfang steht meist eine medikamentöse Therapie mit Levodopa, das die Wirkung von Dopamin im Gehirn nachahmt. Allerdings ist die Dopaminersatztherapie oft ein Kompromiss, wie Prof. Volkmann schildert: „Dopamin wird nicht nur im Bewegungssystem gebraucht, sondern auch in anderen Bereichen des Gehirns. Wenn wir Levodopa für das Bewegungssystem richtig dosieren, kann es in anderen Bereichen überdosiert sein. Das Medikament wirkt nun einmal im ganzen Körper, nicht nur in der spezifischen Gehirnregion, die wir gezielt behandeln    wollen.“ Parkinson-Patienten haben in Bezug auf ihre Beweglichkeit oft eine „bessere“ und eine „schlechtere“  Körperseite. Auch hier führten Medikamente oft zum Kompromiss, so Prof. Volkmann. „Eine gute Einstellung der schlechteren Seite kann zur Überdosierung für die andere Seite führen.“

Medikamente sind eine Lösung auf Zeit

Die medikamentöse Dopaminersatztherapie ist eine Lösung auf Zeit: Levodopa ist im Blut nur kurz wirksam, so dass es zu  Schwankungen der Wirkstoffkonzentration kommt. Zu Beginn der Erkrankung kann das Gehirn diese Schwankungen gut ausgleichen. „Es sind noch genug eigene Nervenzellen da, die den Wirkstoff aufnehmen und reguliert freisetzen können. Bei fortschreitender Erkrankung sterben zunehmend Dopaminzellen ab. Dann wird das gesamte Gehirn mit Dopamin überflutet
und nicht nur das kleine Areal, in dem es gebraucht wird.

Die verbleibenden Zellen können den Überschuss nicht regulieren und speichern“, erklärt Prof. Volkmann. Das Gehirn reagiert in Folge immer empfindlicher auf das Auf und Ab des Dopaminspiegels. „Phasen von starker Unbeweglichkeit bis hinzu starker Überbeweglichkeit  wechseln sich ab und sind unangenehm für die Patienten.  Leider ist das bei der fortschreitenden Parkinson-Erkrankung unausweichlich.“ Die Schwankungen des Dopaminspiegels betreffen auch andere Systeme wie das Motivations- und Belohnungssystem, das für Wohlbefinden, Lebensfreude und Vergnügen zuständig ist und ebenfalls Dopamin in gleichmäßiger Konzentration braucht. Die Schwankungen können  hier zu psychischer und emotionaler Instabilität führen.

Eine Ärztin hilft einer Patientin bei der Medikation

Die medikamentöse Dopaminersatztherapie ist eine Lösung auf Zeit.

Wenn die Medikamente nicht (mehr) helfen

Tiefe Hirnstimulation mithilfe eines Hirnschrittmachers

Von einem „Hirnschrittmacher“ aus werden Elektroden im Gehirn angesteuert, um tiefe Gehirnstrukturen präzise zu stimulieren (Tiefe Hirnstimulation).

Bei fortgeschrittener Erkrankung kommen deshalb chirurgische Behandlungsoptionen wie die „Tiefe Hirnstimulation“ (THS) in Frage. Die THS wurde vor mehr
als 30 Jahren entwickelt und ist eine wirksame und sichere Therapie zur Symptomlinderung bei Patienten mit Bewegungsstörungen und mit unzureichender oder unerwünschter Reaktion auf Medikamente. 

Mehr zur Geschichte der THS

Bei Morbus Parkinson kann die THS Bewegungsstörungen lindern und die Lebensqualität verbessern.
„Zudem fallen Nebenwirkungen weg, die durch die Medikamentenüberstimulation entstehen, da die Medikamente im Schnitt um ca. 60-70 % reduziert werden können. Dopamin-Medikamente können u.a. psychische Veränderungen, Schlafstörungen, Schläfrigkeit am Tage oder niedrigen Blutdruck verursachen. Viele Patienten sind von den Verbesserungen überrascht, wenn Sie nach dem Eingriff Medikamente absetzen oder reduzieren können.“

Viele Fachdisziplinen sind an der Weiterentwicklung der Ths beteiligt

Die Kernfrage, die die Forscher bei der Weiterentwicklung der THS-Therapie umtreibt, ist: Wie können der Effekt der THS noch präziser begrenzt, das umliegende Gewebe geschont und Nebenwirkungen vermieden werden? Die partnerschaftliche Zusammenarbeit u.a. von Neurologen, Neurochirurgen, Radiologen und Medizintechnologieunternehmen wie Medtronic haben in den vergangenen Jahrzehnten zu einem zunehmenden Verständnis von Morbus Parkinson und zu wichtigen technologischen Innovationen geführt. 

So hat sich beim Elektrodendesign viel getan. Die bislang verwendeten Elektroden stimulierten mit ringförmigen  Kontakten diffus in alle Raumrichtungen. Neuere Elektroden   wie das Sensight™-System von Medtronic  sind segmentiert, d.h. das Stimulationsfeld kann präziser in therapeutisch relevante Richtungen gesteuert werden. „So lassen sich Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Sprechstörungen, die sich aus der ungewollten Stimulation benachbarter Areale ergeben können, besser vermeiden“, erklärt Prof. Volkmann die Vorteile. Auch bildgebende  Verfahren sorgen für mehr Präzision. 

Aus Computertomographien vor und nach der Implantation können heute virtuelle 3D-Modelle des Patientengehirns  errechnet und am Bildschirm visualisiert werden. Das Computermodell unterstützt den Neurologen bei der bestmöglichen Stimulationseinstellung des „Hirnschrittmachers“ für den Patienten. 

Sensight Elektrode neben einer 1-Cent Münze

Die winzigen Sensight™-Elektroden können präzise im therapeutisch relevanten Bereich stimulieren.

Die Zukunft: Die bedarfsgerechte Neurostimulation

Heute stellt der Neurologe den Hirnschrittmacher nach der Implantation für den Patienten ein, und die so vorgenommene Einstellung bestimmt dauerhaft die Stimulation – bis zur nächsten Anpassung durch den Arzt in der Klinik. Das Zukunftsbild der Forscher ist die adaptive oder „closed-loop“ Neurostimulation, das die Stimulation bedarfsgerecht variieren kann, angepasst
an die Tageszeit oder den Schweregrad der Symptome. „Unsere Netzwerke im Gehirn sind nicht statisch. Sie passen sich den Lebensbedingungen an und sind aktiv, wenn bestimmte Aufgaben anstehen. So arbeitet das Gehirn nachts anders als tagsüber. Auch Bewegungsstörungen sind nicht immer gleich stark“, führt Prof. Volkmann aus. 

Percept Hirnschrittmacher in Hand

Um die Stimulation bedarfsgerecht variieren zu können, muss das System den Zustand des Gehirns feststellen und die Netzwerkaktivität der so genannten „lokale Feldpotenziale“ messen können. Dafür braucht  es geeignete Marker, ähnlich einem Temperaturfühler bei einer Heizung. Und es braucht geeignete „Messinstrumente“: Medtronic stellte im Jahr 2013  Studienzentrenweltweit einen sensorgestützten
„Hirnschrittmacher“ zur Verfügung, der erstmals   die kontinuierliche  Aufzeichnung der lokalen Feldpotenziale rund um die Elektrodenspitzen
ermöglichte. Im Rahmen von Studien trugen diese  Aufzeichnungen   wesentlich zur Erforschung neuronaler Aktivität als Biomarker von Bewegungsstörungen bei. 
So gibt es heute schon einen Biomarker, der bei der
Parkinson-Krankheit das Symptom der Unterbeweglichkeit gesichert anzeigen kann.

„Wir sind jedoch nicht nur auf der Suche nach Biomarkern für Krankheitszustände, sondern auch nach Biomarkern für andere Funktionszustände des Gehirns. Wenn die Stimulation erkennen könnte, dass der Patient schläft, könnte man die Stimulation reduzieren, weil im Schlaf weniger Symptome vorhanden sind“, erklärt Prof. Volkmann das Forschungsziel. Dabei ist die Suche nach Markern komplex: „Es kann sein, dass die Stimulation für eine gute Armbewegung das Gehen verschlechtert. Deshalb arbeiten wir in Würzburg an einem Marker, der zuverlässig erkennt, wenn der Patient läuft. Man könnte so eine andere Einstellung beim Gehen wählen als beim Sitzen oder Sprechen. Es geht darum Marker zu finden, die kontextabhängig die Stimulation für eine Funktion oder Aufgabe verbessern können.“

Wenn die Stimulation erkennen könnte, dass der Patient schläft, könnte man die Stimulation im Schlaf reduzieren.

Prof. Volkmann

Die BrainSense™-Technologie hilft beim „Aufspüren“ von Biomarkern

Der Percept™ PC „Hirnschrittmacher“ von Medtronic kann bei der Suche der Forscher nach Biomarkern einen wertvollen Beitrag leisten. Er ist das erste Gerät mit  BrainSense™-Technologie, das zusammen mit den segmentierten Sensight™-Elektroden die Netzwerkaktivität der lokale Feldpotenziale innerhalb und außerhalb der Klinik kontinuierlich messen und für die Auswertung der Forscher speichern kann. Denn für das Aufspüren der Marker braucht es jetzt vor allem eines: große  Datenmengen, um mit Verfahren der Künstlichen
Intelligenz Muster zu erkennen und zu lernen, in welchem Zustand sich ein Gehirn befindet und ob der Mensch gerade geht oder spricht. „Wir hoffen, dass uns möglichst viele Percept™-Patienten ihre Daten zur Verfügung stellen“, wünscht sich Prof. Volkmann für die Parkinson-Forschung und zeigt sich zuversichtlich: „In Verbindung mit vom Patienten selbst aufgezeichneten Ereignissen, Symptomen oder Nebenwirkungen von Medikamenten erhalten wir einen wertvollen Datenschatz, aus dem wir in der Zukunft eine personalisierte, noch viel gezieltere und variablere THS-Therapie entwickeln können.“ 

Percept Patient mit Communicator

Die Geschichte
Der tiefen Hirnstimulation

Lange Zeit war die Funktion der tiefen Hirnregionen unbekannt. Sie galten teils als chirurgische Tabuzone, weil man sie fälschlicherweise für den Sitz des Bewusstseins hielt. 1948 wurde erstmals eine „stereotaktische Läsion“ bei einem Patienten mit Bewegungsstörungen vorgenommen. Bei diesem Eingriff  wurde das Nervengewebe gezielt zerstört, das ursächlich in Zusammenhang mit der Erkrankung gebracht wurde. „Bis in die frühen 1980er Jahre hat man bei schweren Zittererkrankungen diese Methode  eingesetzt. Durch die Zerstörung der Nervenzellen konnten die Zitterimpulse nicht mehr weitergeleitet werden. Der Regelkreis, in dem das Zittern entstand,  wurde dauerhaft durchbrochen“, erläutert Prof. Dr. Jens Volkmann, Klinikdirektor der Neurologie des Universitätsklinikums Würzburg und Erster Vorsitzender der Parkinson-Stiftung.

 

 

Historisches Bild zur tiefen Hirnstimulation

Percept mit Programmiergeraet

Medtronic Geräte für die THS gestern und heute

Die Geburtsstunde der THS

Die THS wurde 1987 von
Prof. Dr. Alim-Louis Benabid, Grenoble, entdeckt. Er hatte zuvor einen Patienten mit Zittererkrankung erfolgreich mit einer Läsion behandelt. „Die eine Körperhälfte des Patienten zeigte sehr gute Effekte, die andere zitterte weiter schwer. Beidseitige Eingriffe hat 
man damals wegen schwerer Nebenwirkungen vermieden“, schildert Prof. Volkmann. Doch der Patient wollte unbedingt eine zweite Operation. Prof. Benabid suchte nach einer Alternative und machte sich ein verfügbares Medtronic-System zur Rückenmarksstimulation zunutze. Er kombinierte es mit einer Elektrode, so dass das Hirnareal dauerhaft stimuliert werden konnte, anstatt es zu zerstören. „Benabid war ein Tüftler. Indem er eine vorhandene Technologie adaptierte, gab es nun eine reversible und anpassbare Methode mit weniger Nebenwirkungen“, erläutert Prof. Volkmann die Geburtsstunde der THS. 

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