Video abspielen - Hugo Technologietransfer

Vom Weltall in den Operationssaal

Es war ein Meilenstein in der modernen Chirurgie: Am 19. Juni 2021 operierte ein Ärzteteam zum ersten Mal mit dem neuen Hugo-RAS-System bei einem Eingriff zur Prostataentfernung. Die Reise dieser neuen Technologie beginnt im Weltall.

Vom Weltall in den Operationssaal:
Hugo- die Entwicklungsreise eines Operationsroboters

Es war ein Meilenstein in der modernen Chirurgie: Am 19. Juni 2021 operierte ein chilenisches Ärzteteam zum ersten Mal mit einem neuen Roboterassistenzsystem (RAS) bei einem Eingriff zur Prostataentfernung. Das Hugo RAS-System entstand aus einem erfolgreichen Technologietransfer zwischen dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und Medtronic. Doch bis in den Operationssaal der Clinica Santa Maria in Santiago hatte Hugo eine lange Reise hinter sich. 

ZURÜCK IN DIE VERGANGENHEIT

Zeitsprung: Wir befinden uns in den 1990er Jahren. Im knisternden Antennenradio läuft Michael Jacksons Earth Song, gelbe Telefonzellen säumen die Straßenecken, die ersten Handys sind noch klobig und alles andere als smart. Und doch liegt in dieser Zeit, in der Bildröhrenfernseher und Tamagotchis state of the art waren, die Geburtsstunde einer innovativen Technologie.

Die Reise des Hugo RAS-Systems beginnt im Weltall. Am Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im bayerischen Oberpfaffenhofen forscht man erfolgreich an robotischen Systemen für die Raumfahrt, genauer: an der Entwicklung robotischer Arme für den Einsatz im Weltall, die sich von der Erde oder aus dem Orbit heraus steuern lassen. Diese Systeme sollen es ermöglichen, Roboter von der Erde oder von einer Raumstation aus fernzusteuern, etwa um Reparaturen am Außenbereich der Raumstation durchzuführen. Bereits zu diesem Zeitpunkt reift aber auch eine weitere Idee heran: Wäre es möglich, einen Roboterarm zu entwickeln, der die Größe, die Tragkraft, das Gewicht sowie das Feingefühl eines menschlichen Armes besitzt? Das Vorhaben ist ambitioniert und wegweisend. Denn damals werden Roboterarme hauptsächlich in der Autoindustrie eingesetzt, sie hieven Autoteile an den Produktionsstraßen der Automobilhersteller hoch, sind groß und schwer. Doch das DLR beginnt die Entwicklung einer Leichtbaurobotik-Linie und setzt damit den Grundstein für eine Weltraumtechnologie, die später auch für medizintechnische Einsätze angepasst werden kann.

Am DLR wurde der Grundstein für die Technologie des Hugo RAS-Systems gelegt. (Quelle: DLR (CC BY-NC-ND 3.0); abgerufen unter: https://www.dlr.de/content/de/institutspraesentation/robotik-und-mechatronik-zentrum.html)

Am DLR wurde der Grundstein für die Technologie des Hugo RAS-Systems gelegt. Quelle: DLR (CC BY-NC-ND 3.0)

Vom Weltraum in den OP-Saal: eine ambitionierte Vision 

Ulrich Hagn beim Instrumentenwechsel an einem Arm des Hugo RAS-Systems.

Ulrich Hagn beim Instrumentenwechsel an einem Arm
des Hugo RAS-Systems

Dr.-Ing. Ulrich Hagn, Robotics Vector Lead bei Medtronic am Standort Weßling, ist eine der wenigen Personen, die den erfolgreichen Technologietransfer um das Hugo RAS-System von Anfang an begleitet haben. Noch Anfang der 2000er Jahre ist er selbst am Institut für Robotik und Mechatronik des DLR als Ingenieur beschäftigt: „Naturgemäß entstanden und entstehen am DLR viele Technologien, die man auch in Technikanwendungen auf der Erde, zum Beispiel in der Industrie, einsetzen kann. Damals wurde am DLR aber schon der Frage nachgegangen: In welchen weiteren Bereichen können wir unsere ursprünglich für die Raumfahrt entwickelte Technik auch auf der Erde einsetzen?“, erzählt er rückblickend. Die eigentlich für das Weltall entwickelten Technologien, so der Gedanke, können auch auf dem Boden eine sinnvolle Verwendung finden. 

Bei ihren Überlegungen für neue Einsatzmöglichkeiten ihrer technologischen Entwicklungen werden die Ingenieure in der Medizintechnik fündig, wo sie einen neuen Anwendungsbereich der von ihnen entwickelten leichten, feinfühligen Roboterarme sehen. Oder präziser: in robotischen Assistenz-Systemen für die Chirurgie – die per Fernsteuerung – in der Fachsprache Telemanipulation genannt – bedient werden können. Ulrich Hagn erinnert sich: „Aus medizinischer Sicht waren die Anwendungen speziell in der minimalinvasiven Chirurgie reizvoll. Wir wollen im Patienten operieren, dabei aber nur kleinstmögliche Schnitte als Zugang für entsprechend kleinstmögliche Operationsinstrumente nutzen: eine Roboterfernsteuerung ist hier die ideale Lösung.” Hinzu kommt der Vorteil, dass die Leichtbau-Roboterarme in einer klinischen Umgebung im räumlich begrenzten Operationssaal gut eingesetzt werden können.

Von der Forschung zum Technologietransfer

Die Idee war geboren und mit ihr auch der unbedingte Wille, einen Prototyp für chirurgische Einsätze zu entwickeln. Es entstand eine Forschungsgruppe rund um Ulrich Hagn. Ihr Ziel: die vorhandene Weltraumrobotik so weiterzuentwickeln, dass sie zweckmäßig in der Medizintechnik eingesetzt werden kann. Die Arbeit der Forschungsgruppe konzentrierte sich dabei auf Roboterarme und Steuerungsmodule, die im Baukastenprinzip zusammengesetzt werden konnten. Derartige Forschungsprojekte sind sehr aufwendig. Man plant über Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte hinweg. In der Folge etablierte sich ein Team von über 20 Wissenschaftlern, denen nach etwa 12 Jahren intensiver Forschung die Fertigstellung des Prototyps MiroSurge® gelang. Theoretisch waren Chirurgen damit in der Lage, kleinste OP-Eingriffe ferngesteuert umzusetzen.

Bei der Bedienung des Hugo RAS-Systems sitzt der Chirurg an einer offenen Konsole neben dem Operationstisch, die es ihm ermöglicht, die Situation zu überblicken und die Kommunikation mit seinem OP-Team aufrechtzuerhalten. Er steuert die Roboterarme und -instrumente, die eine größere Bewegungsfreiheit als herkömmliche Techniken bieten.
Bei minimalinvasiven Eingriffen werden nur sehr kleine Schnitte gesetzt. Hugo ermöglicht dem Chirurgen eine höhere Präzision, da er mit einem vergrößerten, hochauflösenden, dreidimensionalen Echtzeitbild des Operationsfeldes auf dem Monitor arbeiten kann.

Professor Alin Albu-Schäffer, Leiter des Instituts für Robotik und Mechatronik des DLR, blickt positiv auf die wegweisende Arbeit der Expertengruppe am Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland zurück. Staatlich geförderte Forschung müsse so weit vorangetrieben werden, dass sie die Aufmerksamkeit von Partnern aus der Industrie erweckt. Daraus können dann Technologietransfers oder Lizensierungen hervorgehen – die schließlich zur Entwicklung von marktreifen Produkten führen. „Es ist ausschlaggebend für einen Technologietransfer eine Technologie zu einer gewissen Reife zu bringen. Darauf aufbauend kann der Partner mit eigenem Know-how den finalen Schritt zum Produkt gehen”, erklärt Alin Albu-Schäffer. 

Karl Haider untersucht eine mechanische Komponente.

Karl Haider untersucht eine mechanische Komponente.

Mit einem starken Partner in die Zukunft

Die Suche nach einem geeigneten Industriepartner für MiroSurge begann. Ulrich Hagn sieht dies im Nachhinein als einen zentralen Schritt: „Das war für mich enorm wichtig. Wir wollten einen Medizinroboter entwickeln, der Menschen helfen wird. Auch für das Team am DLR war es immer wichtig, einen Partner zu wählen, der MiroSurge zu einem tatsächlichen Produkt weiterentwickelt. Bei Medtronic war das der Fall.”

Zu diesem Zeitpunkt hatte man bei Medtronic den festen Entschluss gefasst, in die Medizinrobotik einzusteigen und wurde auf MiroSurge aufmerksam. Julian Klodmann, heute Leiter des Teams Chirurgie-Robotik am DLR und damals mitverantwortlich für die Entwicklung der MIRO-Roboterarme, erzählt: „Medtronic hatte eine sehr klare Vorstellung davon, wie sich MiroSurge entwickeln sollte. Wir hatten den Eindruck, dass wir mit Medtronic einen starken Partner gefunden haben, der mit ähnlicher Dynamik und Interesse am Transfer arbeitet wie wir beim DLR.”

Julian Klodmann an der Chirurgie-Konsole, mit der die Instrumente des Hugo RAS-Systems gesteuert werden.

Julian Klodmann an der Chirurgie-Konsole, mit der die
Instrumente des Hugo RAS-Systems gesteuert werden.

Die Reifejahre zum Roboterassistenzsystem

Ein intensiver Austausch begann, der 2013 in einen Lizensierungsvertrag mündete. Die Technologie in Form von Aufzeichnungen oder Codes, wurde vom DLR an Medtronic weitergegeben, um MiroSurge zu einem marktreifen Produkt zu führen. Der Technologietransfer konnte beginnen – MiroSurge wurde in die Entwicklung des Hugo RAS-Systems integriert.

Ende 2013 wurde im bayerischen Weßling der Medtronic Surgical Robotics Technologiestandort gegründet – nur ein paar hundert Meter vom DLR entfernt. Die räumliche Nähe war der Schlüssel zum Erfolg, da sind sich alle Beteiligten einig. Das (Vor-) Wissen und der Austausch zwischen den Wissenschaftlern und Ingenieuren war unverzichtbar. Mehrere Mitarbeiter des DLR entschieden sich zu dieser Zeit, zum neuen Industriepartner Medtronic zu wechseln, darunter auch Ulrich Hagn. 

Dem weltweiten Surgical Robotics Team – tatsächlich arbeiten Menschen aus nicht weniger als 36 verschiedenen Nationen an Hugo gelingt 2021 die europäische Marktzulassung des Hugo RAS-Systems. „Den Erfolg haben wir dem Einsatz von hunderten von Mitarbeitern auf der ganzen Welt zu verdanken – das ist ein richtiger Teamerfolg”, sagt Ulrich Hagn.

Ulrich Hagn zeigt auf eine Produktionsvorrichtung.

Ulrich Hagn zeigt auf eine Produktionsvorrichtung.

Der Weg zur Marktreife

Was ist noch vom Prototyp MiroSurge übriggeblieben? Äußerlich ähneln sich beide Systeme kaum mehr. Tatsächlich findet sich aber im Hugo RAS-System sehr viel der ursprünglichen Technologie wieder – die Kerntechnologien, wie Antriebe, Kommunikation und Software, unterscheiden sich kaum im Vergleich zum MiroSurge-System. Dennoch gab es für die Ingenieure bei Medtronic viel zu entwickeln. 

Karl Haider, Senior Director Hardware Engineering und Standortleiter des Medtronic Robotik-Teams in Weßling, sieht dies in der veränderten Zielsetzung begründet. Ein marktreifes Produkt zu entwickeln sei etwas anderes als ein reiner Forschungsprototyp wie MiroSurge. „Am DLR ging es eher um den Transfer von Raumfahrttechnologie in die Medizintechnik. Wohingegen es sich beim Hugo RAS-System um ein kommerziell vermarktbares Medizin-Produkt handelt.“ Konkret wurde also die bestehende Technologie noch einmal grundlegend überarbeitet und weiterentwickelt, um die in hohem Maße regulierten Anforderungen an ein Medizinprodukt zu erfüllen.  

In enger Abstimmung mit den anderen Medtronic-Standorten und dem intensiven Austausch mit hunderten klinischen Anwendern reifte das Hugo RAS-System heran.

Von links nach rechts: Karl Haider, Ulrich Hagn und Julian Klodmann diskutieren über das Design von Aktuatormodulen, die die Kerntechnologie des MIRO-Roboterarm-Prototyps (rechts) und des HUGO-Roboterarms (links) bilden.

Von links nach rechts: Karl Haider, Ulrich Hagn und Julian Klodmann diskutieren über das Design von Aktuatormodulen, die die Kerntechnologie des MIRO-Roboterarm-Prototyps (rechts) und des HUGO-Roboterarms (links) bilden.

RAS-Systeme als Co-Worker im OP

Mit der Entwicklung des Hugo RAS-System folgt Medtronic seiner selbstgesetzten Mission: Das Patientenwohl an erste Stelle setzen und die Lösungen am Patientenwohl ausrichten. Die zentralen Vorteile beim Einsatz des Hugo finden sich im Zusammenspiel mit der minimalinvasiven Chirurgie. Damit sind weniger Komplikationen, kürzere Krankenhausaufenthalte, frühere Rückkehr zu täglichen Aktivitäten und kleinere Narben möglich.1,2,3

Dennoch stellt die minimalinvasive Chirurgie eine Herausforderung für die Chirurgen dar. „Laparoskopische Eingriffe, wie es in der Fachsprache genannt wird, sind wirklich schwierig durchzuführen, da es dabei eine Bewegungsumkehr gibt,” sagt Ulrich Hagn. Soll eine Instrumentenspitze zum Beispiel nach links bewegt werden, muss man den Handgriff am Instrument nach rechts lenken. „Stellen Sie sich vor, Sie versuchen mit einem Kugelschreiber durch ein Schlüsselloch auf ein Blatt Papier zu schreiben. Sie brauchen ein Jahr, um einen Satz zu schreiben,” erklärt er schmunzelnd. Mit dem Hugo RAS-System werden diese Probleme für den Chirurgen gelöst. Er sitzt an dem System, als würde er in der offenen Chirurgie direkt am Patienten arbeiten, steuert die Roboterarme fern. Außerdem können die Roboterarme die OP-Instrumente ausdauernder als eine menschliche Hand halten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Modularität, also das Zusammensetzen von verschiedenen Komponenten. „Mit Hugo haben wir ein flexibles, modulares System, das den individuellen Bedürfnissen bei einer speziellen OP angepasst werden kann und adaptierbarer der Patientenversorgung dient”, so Karl Haider. Der Roboter fungiert als echter Kollege im OP.

 Zudem besteht die Chance, OP-Verfahren zu standardisieren und so die Ergebnisse für Patienten zu verbessern. 

Die beteiligten Ingenieure sind sich einig: Der Technologietransfer zwischen dem DLR und Medtronic war ein voller Erfolg, auch weil man ein konstantes Team über einen Zeitraum von über zehn Jahren halten konnte. „Die Menschen und die Expertise sind das Fundament. Davon hängt vieles ab und eine solche Expertise ist notwendig, um derartig komplexe Systeme wie das Hugo RAS-System entwickeln zu können”, resümiert Haider. Sein Kollege Ulrich Hagn ergänzt: „Für mich ist der Technologietransfer zwischen Forschung und Industrie sehr wichtig. Denn was bringt Forschung, wenn daraus nichts entsteht?” Diesem Grundsatz folgend soll die Geschichte erfolgreicher Technologietransfers durch Forschungskooperationen im Rahmen des MIRO Innovation Labs – dem DLR Kompetenzzentrum für Innovation in der Medizinrobotik – fortgesetzt werden.

Karl Haider steuert die Instrumente des HugoTM-RAS-System an der Chirurgie-Konsole.

Karl Haider steuert die Instrumente des Hugo-RAS-Systems
an der Chirurgie-Konsole.

Heute blicken die Ingenieure mit Stolz auf den Mut der beiden Transfer-Partner und der beteiligten Kollegen zurück: „Von den ersten Ideen bis zur Marktreife vergingen 20 Jahre und es gab viele Kollegen, die den Weg mitgegangen sind”, erzählt Ulrich Hagn. „Dass so viele Leute einen so langen Atem gehabt und gegen alle Schwierigkeiten weitergemacht haben, das ist einfach toll!”

Das Hugo RAS-System ist in bestimmten Regionen kommerziell erhältlich. Die regulato­rischen Anforderungen der einzelnen Länder und Regionen bestimmen die Zulassung, Frei­gabe oder Marktverfügbarkeit. In der EU ist das Hugo RAS-System CE-gekennzeichnet. In den USA ist das Hugo RAS-System ein nicht zum Verkauf bestimmter Forschungsgegenstand.

MiroSurge ist ein eingetragenes Markenzeichen des Deutschen Zentrum für Luft- und Raum­fahrt e.V.

Kontakt für Presse und Medien

Medtronic GmbH - Presse-Team

presse@medtronic.com Über das Presse-Team

Noch mehr lesen Faszination Medizin-technologie

Weiter
Robotics Header

Noch mehr lesen Menschen und Einblicke

Weiter

Hinweise

1

Fitch K, Engel T, Bochner A. Managed Care. 2015 Sep;24(9):40–48.

2

Tiwari MM, Reynoso JF, High R, Tsang AW, Oleynikov D. Surg Endosc. 2011;25(4):1127–1135.

3

Roumm AR, Pizzi L, Goldfarb NI, Cohn H. Surg Innov. 2005;12(3):261–287.