Geringeres Patienten-Prothesen-Mismatch bei TAVI-Klappe mit supraannulärem Design

Interview mit PD Dr. Tobias Zeus

Patientinnen und Patienten mit behandlungswürdiger Aortenklappenstenose und niedrigem Operationsrisiko sind im Durchschnitt etwas jünger als jene aus den Kollektiven mit hohem und sehr hohem Operationsrisiko, erklärt PD Dr. Tobias Zeus, Leitender Arzt Strukturelle Herzerkrankungen am Universitätsklinikum Düsseldorf. So spielt dann bei den Patientinnen und Patienten mit niedrigem Risiko die Haltbarkeit einer TAVI-Klappe über einen langen Zeitraum eine wichtige Rolle. Ein supraannuläres Klappendesign könnte da im Vergleich zu Klappen mit intraannulärer Aufhängung mit nachhaltigen Vorteilen verbunden sein.

Wann wird von einem niedrigen Operationsrisiko bei Patientinnen und Patienten mit behandlungswürdiger Aortenklappenstenose ausgegangen?

PD Dr. Tobias Zeus

Privatdozent Dr. Tobias Zeus

Leitender Arzt Strukturelle Herzerkrankungen, Universitätsklinikum Düsseldorf

PD Dr. Tobias Zeus: Niedrigrisiko-Patientinnen und -Patienten definieren sich vor allem über operative Risiko-Scores. Der Euro-Score oder der US-amerikanische STS-Score (Risikoscore der Society of Thoracic Surgeons) sind die bekanntesten, mit denen auch in den großen Studien gearbeitet wird. Diese Risiko-Scores versuchen, die Co-Morbiditäten der Patientinnen und Patienten zu erfassen und diese Begleiterkrankungen in einen numerischen Wert zu übersetzen. Mit Hilfe dieses Wertes lässt sich dann das Risiko abschätzen, beim operativen Aortenklappenersatz oder in direkter Folge des Eingriffs zu sterben oder eine schwere Komplikation zu erleiden. Patientinnen und Patienten mit einem niedrigen Risiko-Score liegen dann beispielsweise im STS-Score bei höchstens 4 % unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und Co-Morbiditäten.

Wie alt sind denn im klinischen Alltag Patientinnen oder Patienten mit niedrigem OP-Risiko?

PD Dr. Tobias Zeus: Das sind in unserem karidovaskulären Kollektiv oft die etwas jüngeren Patienten. Jünger bedeutet hier, dass die Patientinnen und Patienten nicht älter als 80 Jahre sind. In den klassischen TAVI-Studien mit insgesamt mehr als 2000 Niedrigrisiko-Patientinnen und -Patienten lag das mittlere Al-ter bei etwa 74 Jahren. Hingegen ist für Menschen unter 70 Jahre die Datenlage noch schwach, so dass nur eingeschränkt Aussagen getroffen werden können.

Mit der Evolut-Low-Risk-Studie1 und der PARTNER-3-Studie2 wurden 2019 zwei große Studien publiziert, die den interventionellen dem chirurgischen Aortenklappenersatz bei einem Studienkollektiv mit niedrigem Operationsrisiko gegenüberstellen. Was sind zusammengefasst die Ergebnisse der Studien und worin unterscheiden sie sich?

PD Dr. Tobias Zeus: Hinsichtlich der Studienpopulationen sind sowohl die Evolut-Low-Risk-Studie als auch die PARTNER-3-Studie ähnlich aufgestellt. Der mittlere STS-Score-Wert lag bei beiden Studien bei 1,9 %. Die Patientinnen und Patienten in der Evolut-Low-Risk-Studie waren im Durchschnitt mit 74 Jahren ein Jahr älter als die in der PARTNER-3-Studie. Ein entscheidender Unterschied zwischen den beiden Studien war die Zahl der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer. In der Evolut-Low-Risk-Studie wurden in etwa 1.500 Patientinnen und Patienten untersucht, in PARTNER 3 waren es mit 1.000 ein Drittel weniger. Im Hinblick auf die Datenqualität, was die Robustheit der statistischen Auswertung angeht, war so ein stärkerer Ansatz für die Evolut-Studie gewählt worden. Außerdem ist hervorzuheben, dass in der PARTNER-3-Studie ausschließlich die Sapien-3-Prothese implantiert wurde. In der Evolut-Studie wurden auf Grund der Zeitachse der Devicezulassung durch die zuständigen Behörden sowohl die CoreValve- als auch die EvolutTM R- und die EvolutTM PRO-Klappentypen eingesetzt. Auch wenn dies eine spekulative Aussage darstellt, so ist doch davon auszugehen, dass die Ergebnisse bei einem ausschließlichen Einsatz der Letztgenerationsklappe (Evolut Pro) noch besser ausgefallen wären. Was die Studien darüber hinaus besonders unterscheidet, waren die gewählten Endpunkte. 

Evolut™ Familie

Die Evolut™ Familie

Inwiefern unterscheiden sich die Studienendpunkte?

PD Dr. Tobias Zeus: In der PARTNER-3-Studie war der primäre Endpunkt als eine Kombination aus Tod, Schlaganfall und erneute Krankenhausaufnahme innerhalb des ersten Jahres nach dem Eingriff definiert. In diesem Endpunkt war die Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) dem chirurgischen Aortenklappenersatz überlegen. Die Ereignisrate war für die TAVI-Prozedur deutlich niedriger (8,5 vs. 15 %). In der Evolut-Low-Risk-Studie waren zwei harte klinische Kriterien als kombinierter primärer Endpunkt gewählt worden: Tod und schwerwiegender, zu einem funktionellen Defizit führender Schlaganfall in einem doppelt so langen Beobachtungszeitraum von zwei Jahren nach TAVI oder Op. In der TAVI-Gruppe waren 5,3 % der Patientinnen und Patienten von einem Ereignis des primären Endpunktes betroffen, in der Chirurgie-Gruppe 6,7 %. Damit konnte für das interventionelle Vorgehen die Gleichwertigkeit im Therapieergebnis im Vergleich zum chirurgischen Aortenklappenersatz nachgewiesen werden.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Unterschiede zwischen den beiden TAVI-Systemen EvolutTM PRO und Sapien 3?

Evolut PRO Klappe

Supraannuläres Design der Evolut PRO Klappe

PD Dr. Tobias Zeus: Bei der EvolutTM PRO-Klappe und bei der Sapien-3-Klappe handelt es sich um unterschiedliche Systeme. Letztere ist ein ballonexpandierendes und die EvolutTM PRO ein selbstexpandierendes Klappensystem. Der entscheidende Unterschied abgesehen von der Implantationstechnik ist, dass bei der Evolut-Prothese die eigentliche Klappe supraannulär aufgehängt ist. Das Stentgerüst ist höher als bei der Sapien-3-Klappe. Dadurch wird eine symmetrisch öffnende Klappe mit einer größtmöglichen Öffnungsfläche erreicht. Die Öffnungsflächen, die man mit dem supravalvulären Design erzielt, sind TAVI-Klappen mit einem intraannulären Design deutlich überlegen.

Woran lässt sich dieser Vorteil ablesen?

PD Dr. Tobias Zeus: Das sieht man vor allem am Anteil der Patientinnen und Patienten, bei denen ein Patientenprothesen-Mismatch (PPM) gesehen wird. Mit einer Evolut-Prothese ist der Anteil signifikant geringer im Vergleich zu den Sapien-Prothesen. Ein weiterer Aspekt beim Klappendesign sind paravalvulären Leckagen (PVL), ein Thema, was in den vergangenen Jahren immer wieder auch hart mit den Chirurgen diskutiert wurde. Um dieses Problem zu verringern, wurde die Sapien-3 zum verbesserten Sealing mit einem Outer Skirt ausgestattet, der hinsichtlich PVL sehr gute Ergebnisse erzielt hat. Die Evolut-Klappen wurde in der dritten Generation mit einem an der Außenseite des Stentgerüstes angebrachten Perikard-Mantel (pericardial tissue wrap) versehen, was zu einer deutlichen Reduktion der PVL geführt hat. Das sehen wir dann auch in der Evolut-Low-Risk-Studie: Moderate Leckagen liegen bei nur noch 3,5 %.

Welchen Einfluss haben Prothesen-Leckagen auf den weiteren Verlauf?

PD Dr. Tobias Zeus: Eine leichtgradige Undichtigkeit der Klappe macht in den ersten Monaten und Jahren in der Regel keine Probleme. Die Frage ist also: Was macht eine leichtgradige Undichtigkeit im Langzeitverlauf, ist sie relevant? Dazu gibt es bisher nur retrospektive Analysen mit nicht ausreichend langen Beobachtungszeiträumen aus Studien am Hochrisiko-Kollektiv, also mit viel älteren und kränkeren Patienten, wovon wir viele im natürlichen Verlauf in der Nachbeobachtung verlieren. Registerdaten weisen darauf hin, dass möglicherweise eine leichtgradige Aortenklappeninsuffizienz das Ergebnis hinsichtlich Überleben, erneute Krankenhausaufnahmen und weiterer Faktoren negativ beeinflusst. Es gibt aber genauso Analysen, die der leichtgradigen Insuffizienz keine Relevanz zuschreiben. Das heißt, diese Fragestellung ist tatsächlich noch offen.

Welchen Einfluss hat überhaupt die Hämodynamik des TAVI-Systems auch auf das längerfristige Ergebnis der Intervention?

PD Dr. Tobias Zeus: Die Hämodynamik spielt eine wesentliche Rolle. Besonders zwei Aspekte sind hervorzuheben: akut, welche Öffnungsfläche erreichen wir bereits am Tag der Implantation? Da sind mit supraannulären Klappen die Öffnungsflächen größer als mit einer intraannulären Klappe. Wenn wir langfristig beobachten, erhalten wir auch da mit supraannulären Klappen eine größere Öffnungsfläche und weisen eine niedrigere Rate von PPM auf. Aus Studiendaten zum Patientenkollektiv mit moderatem und hohem Operationsrisiko wissen wir bereits, dass wir dadurch einen günstigen Effekt in Bezug auf Klappendegeneration haben. Das ist ein wichtiger Aspekt, der seit zwei oder drei Jahren in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Wir behandeln eben nicht mehr nur alte Patienten, bei denen wir froh sind, wenn wir für sie etwas Lebenszeit gewinnen, sondern Patientinnen und Patienten mit einem moderaten und jetzt auch mit einem niedrigen operativen Risiko, die eine deutlich längere Lebensperspektive haben. Jetzt kommt es darauf an, wie sich die Klappenfunktion sowohl kurzfristig als auch über einen langjährigen Beobachtungszeitraum verhält.

Quellen

1

Popma JJ et al., N Engl J Med 2019; 380: 1706 – 1715 - https://dx.doi.org/10.1056/NEJMoa1816885 

2

Mack MJ et al., N Engl J Med 2019; 380: 1695 – 1705 - https://dx.doi.org/10.1056/NEJMoa1814052